Was haben frühkindliche Reflexe mit der Entwicklung unserer Kinder zu tun?

 

Um die Bedeutung  frühkindlichen Reflexe für die menschliche Entwicklung verstehen zu können,

müssen wir ein Bild davon bekommen, wie die natürliche Entwicklung eines Menschen abläuft,

was während der Geburt passiert und welche Entwicklungsschritte während der ersten Lebensmonate

vom heranwachsenden Säugling zum Kleinkind durchschritten werden.

Mit Abstand betrachtet, haben wir das Gefühl,

daß sich das neue Leben im Mutterleib "ganz von allein" entwickelt.

Die Zeugung ist noch soweit klar- aber was dann passiert, ist doch irgendwie ein Wunder

und nach 40 Wochen wird ein "fertiges" Kind geboren!

Diese besondere, prägende und für das ganze weitere Leben ausschlaggebende Zeit

rückt nun immer mehr in das Interesse der Wissenschaft.

Sicher werden wir in den nächsten Jahren viele neue Erkenntnisse darüber erhalten,

was für eine natürliche und sichere

Schwangerschaft und Geburt ausschlaggebend ist, und was für Voraussetzungen nötig sind,

damit sich unsere Kinder gut entwickeln können.

Diese Erkenntnisse einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen,

wird eine Sache sein- sie umzusetzen, eine wichtige Aufgabe für nächste Generationen!

Ich möchte diese Seite nutzen,

um Ihnen EINEN wichtigen Zusammenhang in Bezug auf die Kindesentwicklung näher zu bringen:

 

 

 

Den Einfluß frühkindlicher Reflexe auf Bewegung, Haltung, Lernen, Verhalten und Emotionen.

 

Was sind eigentlich Reflexe?

Ganz einfach gesagt, ist ein Reflex eine Antwort auf einen Reiz.

Diese Antwort oder Reaktion auf einen Reiz ist nicht steuerbar!

Das kennen wir vom Hustenreiz, der nicht aufhört, bis das Krümelchen aus dem Hals ist,

oder auch vom Lidschlußreflex, wenn uns etwas ins Auge gekommen ist...

Diese Reflexe werden vom Hirnstamm gesteuert, einem Bereich im Gehirn, der entwicklungsgeschichtlich älter

und für das Überleben in einer Notsituation zuständig ist.

Auch frühkindliche Reflexe haben oft eine Schutzfunktion!

Welche wichtigen Aufgaben sie noch haben, welche frühkindlichen Reflexe besonders interessant sind und was passiert, wenn sie ihre Aufgabe nicht richtig ausführen können,

werde ich demnächst hier erläutern!                                            

 

Bis dahin alles Gute! Germaine Linke

 



Die Furcht- Lähmungs- Reaktion...die erste Bewegung des heranwachsenden Kindes

Um uns die Aufgaben und die Bedeutung frühkindlicher Reflexe zu veranschaulichen,

gehen wir ganz zurück an den Anfang einer Kindesentwicklung...

 

Die ersten Bewegungen eines sich entwickelnden Kindes im Mutterleib sind reflexhaft

und werden vom Hirnstamm gesteuert.

Bis es zu diesen ersten Bewegungen kommt, hat das kleine Wesen,

das nun Fötus genannt wird,

schon eine erstaunliche Entwicklung von einer befruchteten Eizelle zu einem innerlich

wie äußerlich kompletten kleinen Körper vollzogen!

Die fertig angelegten Organsysteme haben nun die Aufgabe zu Reifen und zu Wachsen...

 

Diese ersten (reflexhaften) Bewegungen sind eine Reaktion auf Impulse aus der Umwelt

und ermöglichen ein Abwenden von möglicher Gefahr und bilden damit einen Schutz für das noch

unreife Gehirn des Kindes.

 

Über diese frühe erste Reaktion eines Menschen ist nur wenig bekannt.

 

Diese Bewegungen bilden sich zu einem sehr frühen Zeitpunkt,

ca der 5.- 7. Schwangerschaftswoche heraus.

Bei "Gefahr" ( die Mutter hat sich beispielsweise erschrocken), stoßen die Nebennieren Cortisol aus, das Kind zieht sich amöbenartig zurück, verschließt sich sozusagen und verharrt in dieser Position einige Sekunden.

 

Dieser Mechanismus kann durch alle möglichen Reize hervorgerufen werden.

Zum Beispiel durch laute Geräusche, plötzliche Bewegung der Mutter

aber auch Stress oder ein gestörter Stoffwechsel können diese Rückzugsbewegung des Kindes auslösen.

 

Diese erste Bewegung des Kindes hat also eine Schutzfunktion!

 

Aber nicht nur das!

Diese erste Bewegung- 

und ist sie noch so klein, ist der Impuls, um mit dem Ausbilden der Muskulatur zu beginnen.

Auch erste Nervenbahnen werden ausgebildet, welche die Grundlage für Oberflächen- und Tiefenwahrnehmung sind.

Und auch der Beginn der Entwicklung des Gleichgewichtes

sowie des Orientierungssinnes fällt auf diese erste Bewegung zurück!

Wir sehen also, diese erste reflexhafte Bewegung ist wie ein Motor,

der die Entwicklung ankurbelt!

 

 

An diese erste Bewegung schließen sich weitere reflexhafte Bewegungen an.

Welche das sind und welche Folgen Störungen in dieser sensiblen Zeit nach sich ziehen können,

wird uns im nächsten Beitrag beschäftigen.

 

Kommen Sie gut durch den Februar ;-)

Ihre Germaine Linke



Der Moro- Reflex

Und nun wird es richtig interessant:

 

Etwa in der 9. Schwangerschaftswoche, die "Rückzugsreaktion" lässt langsam nach,

bildet sich der erste frühkindliche Reflex heraus: der Moro-Reflex.

Dieser Reflex wurde nach dem deutschen Kinderarzt Ernst Moro benannt.

Er bezeichnet eine erste Schreckreaktion, die vom Hirnstamm gesteuert wird und

durch einen plötzlichen Reiz- zB. helles Licht, laute Geräusche, Gerüche, Lageveränderung, Berührung, Stress der Mutter in jeder Form, ausgelöst werden kann. Das Kind "erschrickt" sozusagen im Mutterleib und die Nebennieren setzen Adrenalin und Kortisol frei.

Das Kind breitet Arme und Beine aus, die Augen werden aufgerissen, das Kind ist in Aufruhr, ist wach, angespannt...

Es kann einige Minuten dauern, bis sich das sympathische Nervensystem wieder beruhigt;

Jeder hat das selbst schon erlebt: Wenn einem durch eine schlechten Nachricht der Schreck in die Glieder fährt oder man gerade so einer Gefahrensituation entkommen ist, schlägt das Herz wie wild, wir atmen schneller, der Blutdruck steigt an und die Haut rötet sich und fängt an zu schwitzen...Und wir brauchen eine Weile, bis wir uns wieder beruhigen.

 

Das hört sich anstrengend an und ist es auch!

Warscheinlich fragen Sie sich, wozu das heranwachsene Kind im Mutterleib diesen "Stress" benötigt?

Und tatsächlich hat dieser Reflex, der sich schon ganz am Anfang (ca. 9. Schwangerschaftswoche!) der menschlichen Entwicklung im Mutterleib zeigt, eine entscheidende Bedeutung für das Überleben unseres Kindes:

Dieser Reflex ermöglicht den ersten Atemzug nach der Geburt auf unsere Welt mit ihren veränderten Bedingungen ausserhalb des Mutterleibes und setzt sozusagen die Atmung in Gang!

Er dient auch dazu, daß das Neugeborene " Alarm schlagen" kann, wenn Gefahr droht: zB. bei Hunger, Kälte, Schmerz, Müdigkeit, Einsamkeit u.s.w.

Das Kind nimmt die Gefahr wahr und fängt an zu schreien!

Kinder, bei denen der Moro- Reflex gut ausgeprägt ist, sind vor dem plötzlichen Kindstod geschützt!

Der Moro- Reflex wirkt auch auf unser späteres Bindungsverhalten:

Einerseits zählt der Reflex zu den "Greifreflexen", da in der 2. Phase dieses Reflexes Arme und Beine sich wieder verschließen- vielleicht ein Relikt aus Zeiten, wo die Mutter noch ein Fell trug und das Kind sich in Gefahrensituationen an ihr festhalten musste, um zu überleben...

Andererseits: Wer Hilfe holen kann, geht in Kontakt und erwartet, daß er gehört wird und man ihm hilft!

 

Nun wird uns langsam klarer, welche große Bedeutung der Moro- Reflex hat.

Bis zur Geburt des Kindes prägt er sich weiter aus und sollte also zur Geburt auf seinem Höhepunkt sein,

den ersten Atemzug ermöglichen und unser Kind noch bis zum ca 3.Lebensmonat begleiten und schützen!

 

Nach dieser Zeit sollte sich der Moro- Reflex langsam abbauen (er wird integriert), da dem Kind nun reifere Strategien zur Verfügung stehen und er nicht mehr gebraucht wird.

Eine weitere geniale Sache ist, daß sich durch diese reflexhafte Bewegung das Bewegungsreportoire des Kindes erweitert!

Neue Muskelgruppen und Nervenbahnen werden dabei ausgebildet und trainiert.

Durch die Lageveränderung des Köpfchens wird auch das Gleichgewichtssystem im Innenohr gereizt und gefordert und entwickelt sich weiter.

So wird auch die Propriozeption geschult- eine Wahrnehmung, die unser "Gefühl" für unser Befinden im Raum bezeichnet.

Auch die Rezeptoren der Hautzellen nehmen die veränderte Lage wahr...Wir entwickeln in dieser wichtigen Zeit unseres Lebens ein Gefühl für unser Sein: Wahrnehmung und Bewegung sind nicht voneinander zu trennen!

Hier entwickelt sich unser Muskeltonus (Eine Bedingung für gute Körperhaltung!) unsere Wahrnehmung (Wo befinde ich mich? Wo stehe ich im Raum? Wieviel Platz nehme ich ein? Wie weit ist es bis...?)

 

Diese ersten Bewegungen sind die Grundlage für unsere mühelose aufrechte Haltung im späteren gesamten Leben

und die Vorraussetzung für Gleichgewicht, Orientierung und Struktur!

Na, klingelt es da bei dem Einen oder Anderen?

Genau, alles wichtige Grundlagen, die wir zum Lernen in der Schule, aber eigentlich unser gesamtes Leben hindurch benötigen!

 

So viele Informationen... das lassen wir ersteinmal sacken!

Aber in diesem Rahmen verläuft die Entwicklung zu einer mühelosen aufrechten Körperhaltung sowie die Herausbildung von Wahrnehmung und Fähigkeiten und angemessenen Bewegungsabläufen.

Das Wort "mühelos" sollte uns aufhorchen lassen!

Unsere Kinder brechen zum Teil schon in der ersten Unterrichtsstunde "ein" und liegen mehr auf ihrem Tisch oder stabilisieren sich mit besonderen Sitzhaltungen...

 

Dazu kommen wir das nächste Mal!

Bleiben Sie gesund!

 

Ihre Germaine Linke

 

                                                                             Der Moro- Reflex:

                                                                             Hier ausgelöst durch Veränderung

                                                                             der Lage, der Temperatur oder durch                                                                              den taktilen Reiz des Wassers...

                                                                                         

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                                                    Foto entnommen aus:

                                                                                                                                                    "Flügel und Wurzeln" Dorothea Beigel, Basel 2003

 

Wie frühkindliche Reflexe zum "Hemmschuh" werden...

Nach dem Moro-Reflex folgen weitere frühkindliche Reflexe, die alle eine große Bedeutung für die menschliche Entwicklung haben. Sie laufen nicht streng nacheinander ab, haben aber ein grobes Zeitfenster, in dem sie ihre spezifische Aufgabe haben und bedingen und beeinflussen sich auch gegenseitig.

 

Bevor wir uns die weiteren Reflexe ansehen,

die jedem Menschen am Anfang seines Lebens zur Verfügung stehen sollten

um den nächsten Entwicklungsschritt vollziehen zu können,

stellen Sie sich sicher die Frage, wie diese wichtigen Reflexe zum "Hemmschuh" der Entwicklung eines Kindes werden können.

 

Ein frühkindlicher Reflex hat eine "Waltezeit", ein Zeitfenster, in dem er seine Aufgabe erfüllen sollte. Nach dieser Zeit allerdings sollte er für den Menschen keine Rolle mehr spielen, dann hat er seine Aufgabe erfüllt und höhere Hirnebenen übernehmen diese Funktion.

 

Man kann es sich gut beim Palmar- Reflex vorstellen:

Dieser "Greifreflex" entwickelt sich in der ca. 11. Schwangerschaftswoche und sollte zum Zeitpunkt der Geburt vollständig vorhanden sein. (Man geht davon aus, daß der Greifreflex ein Relikt aus früheren Zeiten der Evolution ist, als es für das Kind überlebenswichtig war, sich an das Fell der Mutter zu klammern...)

Im Alter von 4 bis 5 Monaten sollte dieser Reflex jedoch nicht mehr notwendig sein. Das bedeutet, höhere Hirnfunktionen übernehmen nun seine Aufgabe. Ist der Greifreflex dann noch aktiv, kann sich der Pinzettengriff nicht etablieren und das Kind hat Schwierigkeiten, feinere Greifbewegungen mit der Hand zu vollführen.

Das hat Folgen für jegliche manuelle Betätigung im späteren Leben und betrifft besonders die Handschrift und die Stifthaltung!

Auch die Sprachentwicklung kann betroffen sein, da zwischen Mund und Händen in der Zeit des aktiven Greifreflexes

eine neurologische Verbindung besteht. Man kann Reste dieser Verbindung an den Mundbewegungen der Kinder

beobachten, wenn sie zB. Malen.

 

Die Ursachen für das Bestehenbleiben bestimmter Reflexaktivitäten bei manchen Kindern sind vielfältig.

Oftmals kommt eine Störung in der Schwangerschaft und/oder des Geburtsablaufes in Betracht, aber auch erbliche Faktoren spielen eine Rolle.

 

Ist ein Reflex über seine Zeit hinaus aktiv, hat das auch Einfluß auf die Bildung und Hemmung der folgenden Reflexe und wird das Kind möglicherweise in seiner Entwicklung sehr beeinflussen.

 

Da unser Gehirn plastisch ist und Defiziete kompensieren kann, können viele Menschen mit Restreaktionen frühkindlicher Reflexe gut leben.

Erst wenn diese Restreaktionen sehr dominant sind, können Fehlentwicklungen oder Neuromotorische Entwicklungsverzögerungen auftreten.

 

Ihre Germaine Linke

 

 

 

 



Liebe Frau Neumann,

 

Das sind wichtige Fragen!

Wie lange dauert die Übephase ?

 

Auf Grundlage der Ergebnisse aus der ausführlichen Anamneseerhebung  und  des getesteten neuromotorischen Ausreifungsstandes des Kindes wird das Übungsprogramm für das Kind zusammengestellt und im Laufe der Förderung immer wieder angepasst. Erste Ergebnisse sieht man häufig schon nach der ersten Übung an Änderungen im Verhalten, Ausprobieren von neuen Aktivitäten oder dass die Kinder ruhiger oder mutiger werden. Trotzdem muss gesagt werden,

dass Entwicklung ihre Zeit braucht. Es ist immer von Vorteil, wenn Eltern ihren Kindern die nötige Zeit einräumen und ihnen zutrauen, dass sie alle Fähigkeiten entwickeln werden, die sie benötigen, um ihr Leben erfolgreich zu meistern.

Um ein Zitat aus dem Buch "Flügel und Wurzeln" von Dorothea Beigel zu verwenden:

 

"Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht."

 

Geübt wird optimalerweise 10 min täglich! Das gesamte Programm dauert ca 1,5- 2 Jahre.

 

 

Lohnt es sich als Erwachsener mit dem Übungsprogramm anzufangen?

 

Ja, unbedingt!

Das INPP- Übungsprogramm ist für Kinder zwischen 7-12 Jahren evaluiert. Aber auch Erwachsene profitieren von dem Programm! Häufig brechen in späteren Jahren unsere Kompensationsstrategien erst weg und ein schlechtes Gleichgewicht oder höhere Stressanfälligkeit machen uns das Leben schwer. Für Erwachsene ist es ratsam, für die Übungsintervalle etwas mehr Zeit einzuräumen. Wir müssen uns vorstellen, dass unser gesamter Halte- und Stützapparat sowie unsere sensomotorische Feinabstimmung und neuromotorische Verschaltung sich neu ausrichten und etablieren müssen.          Aber unser Gehirn ist plastisch und kann sich umgestalten. So können wir es auch im Alter mit den Informationen füttern, die Entwicklung fördern.

 

Ihre Germaine Linke

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Yvonne Neumann (Mittwoch, 22 September 2021 15:44)

    Liebe Frau Linke,

    wenn man diese logischen, aber ja auch komlizierten (komplexen) Abläufe und Gegebenheiten betrachtet und auch versteht, wie lange dauert dann nach Ihrer Erfahrung in etwa die Übephase? Tragen Übungen gleich zu Entlastung und Erleichterung bei? Oder treten Veränderungen eher langfristig ein? Und lohnt es auch bei Erwachsenen noch, anzufangen?? Herzlichen Dank, Y. Neumann